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NSDAP-Parteigenosse und SS-Obersturmbannführer Karl Kowarik, 1957-1960 Generalsekretär der FPÖ

Vortragsnachlese: Der NS-Untergrund in Österreich nach 1945 und die Organisation Gehlen

Gerhard Sälter beleuchtet in seinem Vortrag die Reorganisation ehemaliger NS-Funktionäre nach Kriegsende 1945, die sich im Verband der Unabhängigen (VdU), der Vorgängerorganisation der FPÖ, zusammenschlossen. Einige der zentralen Figuren arbeiteten im auf­kommenden Kalten Krieg eng mit westlichen Geheimdiensten zusammen. Besonders im Fokus stehen die Zusammenarbeit und der Rahmen der wechsel­seitigen politischen Beeinflussung der Akteure.


GERHARD SÄLTER
DER NS-UNTERGRUND IN ÖSTERREICH UND DIE ORGANISATION GEHLEN
EIN BEITRAG ZUR FRÜHGESCHICHTE DER FPÖ

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Version meines Vortrags in der Arbeiterkammer Wien am 14. Jänner 2020. Eine vom Wiener Kollegen Dr. Thomas Riegler und mir weiter ausgearbeitete Fassung dieses Vortrags erschien Ende 2020 im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies. Dort finden sich auch die Einzelnachweise von wörtlichen Zitaten und Quellen, auf die hier aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet wurden.

Die Aspekte österreichischer Geschichte, die Gegenstand dieses Textes sind, bilden eines der Resultate einer Studie über die NS-Belastung im westdeutschen Geheimdienst, dem Bundesnachrichtendienst (BND). Seit 2011 untersucht eine Unabhängige Historiker-Kommission dessen Geschichte, wobei ich die Belastung durch Personal, das aus Institutionen des Dritten Reichs übernommen worden war, zu klären und zu bewerten hatte. Dabei bin ich auf Verbindungen nach Österreich gestoßen, über die hier berichtet wird. Der Text beruht auf der Auswertung von Akten des BND, die bisher geheim gehalten waren.

 

NACHKRIEGSZEIT

Die unmittelbare Nachkriegszeit war eine Periode der Geschichte, in der noch nicht absehbar war, dass auf dem Boden des soeben besiegten und noch weitgehend in Trümmern liegenden Deutschen Reichs zwei stabile, erfolgreiche und demokratische Gemeinwesen entstehen würden. Die Auseinandersetzungen um die Gestalt der staatlichen und gesellschaftlichen Nachkriegsordnung hatte gerade erste begonnen.

Neben vielen anderen Akteuren waren an diesen politischen Konflikten auch nationalsozialistische Funktionsträger beteiligt. Sie waren zahlreich und viele von ihnen hingen noch an den politischen Vorstellungen, welche sie in den letzten Jahren geprägt und die sie in ganz Europa in politisches Gewalthandeln umgesetzt hatten. Wie zahlreich ihre Unterstützer sein würden, ließ sich vorderhand nicht absehen, aber Hitler und seine Gefolgschaft besaßen bis kurz vor Ende des Krieges die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung.

Dass sich die nationalsozialistischen Funktionsträger nach dem verlorenen Krieg nicht einfach zurückzogen, darf uns nicht wundern. Immerhin hatten sie sich bisher für eine völkisch geprägte Ordnung in Deutschland und Europa eingesetzt und die meisten sahen trotz der Massenverbrechen keinen Grund, ihre politische Haltung zu überdenken. Außerdem gerieten sie durch die alliierte Internierung und die beginnende Strafverfolgung in einen Rechtfertigungszwang, in dem sie gemeinsam Legenden erfanden und sich kollektiv in eine trotzige Abwehrhaltung hineinsteigerten, aus der heraus ein Nachdenken über eigene Verantwortung und Schuld kaum möglich war. Michael Wildt hat in dieser Beziehung von einer „Selbstgewissheit“ gesprochen, in „deren Ignoranz und Unvermögen zur Selbstreflexion noch die Spuren der vormaligen weltanschaulichen Überheblichkeit und herrenmenschlichen Anmaßung“ zu erkennen seien.[i] Selbst das schlichte Faktum, dass sie den Krieg verloren hatten, schien sie nicht zu beirren.

Und schließlich spielten persönliche Interessen eine Rolle: Sie waren die Herren Europas gewesen, hatten mittlere bis größere Dienststellen der Gestapo, des SD, der Partei oder der Verwaltung geleitet, sei es im Reich oder in den besetzten Gebieten. Und jetzt sollten diese Männer, die häufig genug nichts Praktisches gelernt hatten, Waldarbeiter, Hilfsarbeiter, Vertreter für Staubsauger oder Spirituosen werden? Dass mag uns heute angemessen erscheinen, aber dass ihnen das nicht gefiel, auch wenn ein Zurücktreten wünschenswert gewesen wäre, sollte nicht erstaunen.

Die nationalsozialistische Funktionselite – man könnte vom mittleren Management des Dritten Reichs sprechen – versuchte also nach 1945 wieder mitzumischen, wobei viele von ihnen das Jahr 1945 gar nicht in dem Maße als Zäsur begriffen, wie es heute üblich geworden ist. Für viele war es ganz selbstverständlich, einfach weiterzumachen, als wäre Hitlers Selbstmord und die Besetzung des Deutschen Reichs durch die Alliierten nicht weiter von Belang. Hierbei lassen sich in Österreich für die direkte Nachkriegszeit grob drei sich überlagernde Phasen unterscheiden: erstens den aus den kläglichen Werwolf-Aktivitäten erwachsenen nationalsozialistischen Untergrund von 1945 bis etwa 1948, zweitens die Phase der Internierung und intensiveren Strafverfolgung ab 1946 und schließlich den Beginn der offenen politischen Betätigung ab 1948/49.

In allen drei Perioden finden wir in führenden Positionen Männer, die einen ausgeprägten weltanschaulichen und institutionellen NS-Hintergrund besaßen und ihre politischen Aktivitäten mit einer Tätigkeit für einen westlichen Geheimdienst verbanden, sei es als fester Mitarbeiter oder als Agent.

 

INTERNIERUNGSLAGER

Bei Kriegsende findet sich außer in Norddeutschland und in München auch in Österreich eine stärkere Konzentration von Funktionsträgern des Dritten Reichs. Das hat damit zu tun, dass viele NS-Dienststellen bei Kriegsende Befehl erhielten, sich in die „Ostmark“ abzusetzen, um in der nur nebelhaft vorhandenen „Alpenfestung“ den Widerstand gegen die alliierten Armeen fortzusetzen. Auch wenn sich dieses Vorhaben als illusorisch erwies, sammelten sich in Österreich Funktionäre aus unterschiedlichsten Dienststellen, welche nach der Besetzung erst einmal untertauchten und sich zu reorganisieren versuchten.

Angesichts dessen internierten die Alliierten – zum Schutz ihrer Truppen, zur Stabilisierung ihrer Besatzungsherrschaft und als Vorbereitung der angestrebten Entnazifizierung – eine größere Zahl von mittleren und höheren Parteifunktionären und der Mitarbeiter der als besondere Stützen des Regimes geltenden Organisationen, etwa der Gestapo, des SD (des Geheimdienstes der SS) und weiterer Organisationen und Behörden, in besonderen Lagern. In den alliierten Internierungslagern fanden sich so Kameraden zusammen, die sich aus verschiedenen Tätigkeiten im Dienste des Dritten Reichs zum Teil schon seit langem kannten.

Als deutlich wurde, dass die alliierten Absichten zur Entnazifizierung und Strafverfolgung durchaus ernst zu nehmen waren, formierten sich dort Gruppen, welche dem gegenzusteuern versuchten. In den Lagern entstanden Narrative und Legenden, welche die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen ableugnen oder auf bestimmte Institutionen oder wenige Personen konzentrieren sollten. Diejenigen, welche eine Strafverfolgung zu gewärtigen hatten, schmiedeten Fluchtpläne, die teilweise auch realisiert wurden.

Unter diesen Gruppen ist die im Lager Glasenbach entstandene „Spinne“ besonders bekannt geworden. Wahrscheinlich sind die zeitgenössischen Erzählungen, die über das als fest gefügte Organisation verstandene Netzwerk kursierten, etwas übertrieben. Die Übertreibungen sind vor allem durch den Schock zu erklären, welcher die Behörden und die Öffentlichkeit traf, als bekannt wurde, dass die Nazis sich sogar im Lager wiederum erfolgreich organisierten. Jedoch scheint dieses Netzwerk nicht nur einige erfolgreiche Fluchten organisiert, sondern auch mit NS-Funktionären außerhalb des Lagers feste Verbindungen aufgebaut zu haben. Als Organisatoren des Netzwerks „Die Spinne“ und ihre Kontaktleute zum NS-Untergrund außerhalb der Lager werden vor allem Erich Kernmayr und Karl Kowarik genannt, die auch in anderen NS-Netzwerken eine wichtige Rolle spielen sollten.

Der 1903 geborene Kowarik, der 1932 ein Studium als Forstingenieur abschloss, war in Österreich ein aktiver und führender Nationalsozialist. Er half, die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den „Anschluss“ an das Reich in seinem Heimatland vorzubereiten, ohne es allerdings nach der Annexion bis in die erste Reihe der Macht zu schaffen. Er hatte sich als junger Mann im Deutschen Turnerbund, im Deutschen Studentenbund und im Vaterländischen Schutzbund, aus dem in Österreich die SA hervorging, völkisch und national orientiert. 1926 gehörte er zu den Mitbegründern der HJ in Österreich, von 1926 bis 1928 gehörte er dem Freikorps Roßbach an und 1930 trat er der NSDAP bei, in der er vorher bereits aktiv gewesen war. Als Kommandant eines Studentenfreikorps hatte er sich an Ein­sätzen gegen sogenannte „marxistische Unruhen“ und die „Überfremdung der österreichischen Hochschulen durch Ostjuden“ beteiligt. 1933/34 war er Führer der illegalen HJ in Österreich und gehörte der NSDAP-Landesleitung an, bevor er nach dem fehlgeschlagenen nationalsozialistischen Juliputsch 1934 ins Reich beordert wurde. Daraufhin wurde er Gebietsinspekteur der HJ in Baden, wechselte 1936 kurzzeitig ins Ausland, bevor er nach Österreich zurückkehrte, wo er von 1936 bis März 1938 landesweit die illegale HJ organisierte.

Nach der Annexion Österreichs stieg er in die Gauleitung Wien der NSDAP auf, wo er Gauinspekteur wurde, erhielt aber nicht die angestrebte HJ-Führung in Österreich. Unter seiner Führung stürmte am 8. Oktober 1938 als Antwort auf eine Demonstration der katholischen Jugend vor dem Stephansdom eine HJ-Abteilung das Palais des Erzbischofs, demolierte das Mobiliar und malträtierte die anwesenden Priester. Im April 1939 wurde er Kreisleiter der NSDAP Wien und im April 1940 Gebietsleiter der HJ im Gau Wien (beides bis 1943). 1939 trat er der SS bei, in der er den Rang eines Sturmbannführers erreichte. 1940 erhielt er eine mehrmonatige Ausbildung bei der Leibstandarte Adolf Hitler, einer Einheit der Waffen-SS, in Lublin. Im März 1942 wurde er Mitglied des Reichstags. 1941 zeitweilig einer SS-Kriegsberichter-Kompanie angehörend und 1943 Ausbilder und Leiter für weltanschauliche Schulung in einer Abteilung der Waffen-SS, wurde er im November 1944 zum SS-Obersturmbannführer befördert. Das war keine Karriere, die ihn an die Spitze brachte, aber Kowarik war einer derjenigen, die den Anschluss maßgeblich vorbereiteten und dem NS-Regime danach bis 1945 treu in herausgehobener Position dienten.

Der 1906 geborene Kernmayr dagegen hatte die Schule abgebrochen und arbeitete bis 1935 als Journalist. Zunächst mit der KPÖ sympathisierend, dann republikanisch orientiert, war er bis 1934 Mitglied des sozialdemokratisch ausgerichteten Republikanischen Schutzbundes, weswegen er 1934 interniert wurde. Im Lager wandelte er sich zum Nationalsozialisten, der er zeitlebens blieb. Nach seiner Entlassung engagierte er sich in der illegalen NSDAP. 1934 trat er in die illegale SA und später in die NSDAP ein. Seit 1936 arbeitete er in Graz für die Essener Nationalzeitung, einem NSDAP-Kampfblatt, das in Österreich zugelassen war, und später für den illegalen Österreichischen Beobachter. Nach der Annexion Österreichs im März 1938 erhielt er eine Stelle im Gaupresseamt Wien. Dort lernte er Gauleiter und Reichsstatthalter Josef Bürckel kennen, der ihn 1940 als Gaupresseleiter nach Elsass-Lothringen mitnahm, wo Kernmayr, wie er später schrieb, „1939/40 die gesamte Pressearbeit des Staates, der Partei und der Polizei in Lothringen, Saar und Pfalz“ leitete und damit Propagandaleiter der Eindeutschungskampagne der Nazis wurde. Anfang 1941 meldete er sich freiwillig zur Leibstandarte Adolf Hitler, mit der er am Krieg in der Sowjetunion teilnahm. Im selben Jahr wechselte er zur SS-Kriegsberichter-Abteilung (später SS-Standarte Kurt Eggers), jedoch ließ Bürckel ihn mehrfach vom Wehrdienst freistellen. 1945 war er SS-Untersturmführer.

Beide, Kowarik und Kernmayr, waren seit 1945 interniert, u.a. im Lager Glasenbach, wo sie den Organisatoren der „Spinne“ zugerechnet wurden. Sie scheinen dem einen oder anderen Kameraden die Flucht ermöglich zu haben. Zugleich wurden die Internierungslager, von den Alliierten und der Öffentlichkeit zunächst unbemerkt, zu Brutstätten der Nachkriegsorganisation der Nationalsozialisten. Insbesondere Kernmayr und Kowarik taten sich dabei hervor und galten als Mittelsmänner zu den draußen entstehenden Organisationen der Ehemaligen, welchen sie sich nach ihrer Entlassung anschlossen.

 

UNTERGRUND

Während viele NS-Funktionäre interniert waren, war es anderen gelungen, mit falschen Papieren unterzutauchen oder waren von der Internierung nicht betroffen. Aus ihnen bildete sich in Österreich ein nationalsozialistischer Untergrund, dessen Angehörige auf die Wiedererrichtung eines Vierten Reichs hinarbeiteten. Viele waren zugleich in den Fluchthilfeorganisationen für hochrangige Nazis und auf dem Schwarzen Markt aktiv. Außerdem traten sie öffentlich für eine Rehabilitation und Integration der Nationalsozialisten ein. Das alles wurde gedeckt von amerikanischen Geheimdiensten, denen die Bekämpfung des Kommunismus wichtiger erschien als die Niederhaltung der Nazis.

Eine der illegalen Organisationen, die wahrscheinlich noch aus Werwolfaktivitäten hervorging, war die Soucek-Rössner-Gruppe, über deren Aktivitäten wir durch die Forschungen von Martin Polaschek und insbesondere von Thomas Riegler gut informiert sind.[ii] Ende März 1948 begann vor dem Volksgericht Graz ein Strafverfahren gegen zahlreiche Nazis, denen die Bildung einer Untergrundorganisation vorgeworfen wurde. Das Verfahren wurde als Grazer Neonazi-Prozess bekannt und war der erste seiner Art in Österreich. Angeklagt waren die Mitglieder von zwei miteinander verbundenen Gruppen. Die erste war um den früheren SA-Obersturmbann­führer, Gauschulungsleiter Wien der NSDAP und Werwolf-Beauf­tragten Hugo Rössner entstanden. Sie rekrutierte sich wesentlich, und das ist typisch für die Nachkriegsorganisationen der Nationalsozialisten in Österreich, aus Wiener HJ-Führern und Offizieren der Waffen-SS. Die Gruppe hatte sich im September 1946 in Oberösterreich gebildet. Die Gruppe um Theodor Soucek war in der Steiermark entstanden. Beide arbeiteten zusammen, um wieder ein nationalsozialistisch ausgerichtetes großdeutsches Reich zu errichten.

Die österreichische Polizei war der Soucek-Rössner-Gruppe auf die Spur gekommen, weil sie sich mit einem umfangreichen Schwarzmarkthandel finanzierte, insbesondere dem Schmuggel von Saccharin. Die politischen Aktivitäten waren gleichzeitig getragen und verschleiert von einem vehementen Antikommunismus. Sie richteten sich auch darauf, das in Österreich geltende Verbot politischer Betätigung für ehemalige Nazis zu beenden und die Nationalsozialisten zu rehabilitieren. Die Gruppe plante, im Fall eines Krieges eine Guerillatruppe aufzubauen, die außer den Kommunisten auch demokratische Politiker beseitigen sollte. Daneben verhalf sie NS-Funktionsträgern zur Flucht aus den Internierungslagern, indem sie Ausbruchswerkzeuge in die Lager Wolfsberg und Glasenbach einschmuggelte. Sie half mit gefälschten Ausweisen beim Untertauchen in oder bei der Flucht aus Österreich. Ein Mordanschlag auf den Kommandanten des britischen Internierungslagers Wolfsberg scheiterte im Planungsstadium. Verhaftet wurden etwa 150 Personen, von denen drei am 14. Mai 1948 Todes- und andere langjährige Freiheitsstrafen erhielten. Die Urteile wurden 1949 auf dem Gnadenwege abgemildert, die letzten Verurteilten 1952 aus der Haft entlassen.

Mehrere führende Mitglieder der Gruppe hatten Kontakt zum US-amerikanischen Militärgeheimdienst CIC. Dadurch erhielten Angeklagte wie der HJ-Führer Amon Göth vor Eröffnung des Verfahrens Einblick in die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten. Die österreichische Polizei wusste, dass das CIC Schutz vor Strafverfolgung zugesagt hatte. Göth etwa wies bei seiner Verhaftung einen Schutzbrief des CIC vor. Das CIC verlangte zunächst seine Überstellung in US-Gewahrsam, nahm davon jedoch Abstand. Anfangs war den Österreichern seine Vernehmung nur in Gegenwart eines CIC-Mitar­beiters gestattet. Die Polizei fühlte sich in ihren Ermittlungen erheblich behindert. Informanten behaupteten, dass die NS-Konfidenten des CIC einen Handel geschlossen hätten: Gerüchte und Informationen über Kommunisten von diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs gegen Informationen über den Stand der polizeilichen Erkenntnisse zum nationalsozialistischen Untergrund.

Die Art Aktivitäten der NS-Funktionäre, die Kontakte zu keiner der vier Besatzungsmächte scheuten, zeigt sich an einem ihrer Anführer, Josef Adolf Urban, ein SS-Obersturmbannführer, der in Himmlers Geheimdienst SD Ausland gearbeitet hatte. Urban war nach dem Krieg im amerikanischen Internierungslager Moosburg in Niederbayern interniert. Er floh im Juni 1946 nach Salzburg, wo er unter falschem Namen lebte. 1946 oder 1947 wurde er vom CIC angeworben, für den er bis zum Frühjahr 1950 tätig war. Durch ihn kamen weitere NS-Belastete zum CIC, darunter Herbert Ranner und Heinz Fröhlich.

Während seiner Tätigkeit für das CIC schloss sich Urban 1946 oder 1947 der Soucek-Gruppe an, in der er unter dem Decknamen „Uhu“ einer der zentralen Akteure war. Unter anderem beschaffte er falsche Papiere für geflüchtete Nazis. Zwar hatte die Soucek-Gruppe sich durch den Einbruch in ein Arbeitsamt Blankopapiere und Stempel verschaffen können, aber Urbans Kontakte zum CIC und vielleicht auch zu anderen Besatzungsmächte halfen dabei, geflohene und untergetauchte Nazis mit falschen Personalpapieren zu versorgen. Urban wurde im September 1948 von der österreichischen Polizei zusammen mit den anderen Mitgliedern der Untergrundorganisation verhaftet. Wie die Polizei beklagte, musste Urban jedoch auf Intervention des CIC nach wenigen Tagen in dessen Gewahrsam überstellt werden, und zum Ärger der Polizisten wurde er Freigänger. Durch Intervention des CIC Linz kam er nach sechs Monaten Gefängnishaft im Frühjahr 1949 wieder frei.

Seit seiner Haftentlassung hielt Urban Kontakt zu den österreichischen Sicherheitsbehörden und lieferte auch der Staatspolizei Material über die KPÖ. Dem CIC war allerdings bekannt geworden, dass Urban einem französischen Geheimdienst Berichte für den US-Kongress, die er von slowakischen Emigranten in den USA erhalten hatte, als offizielle amerikanische Lagebeurteilungen über Österreich verkauft hatte. Trotz deutlicher Warnungen verwendete die CIC-Stelle Linz Urban und seine Freunde weiter. Urban hatte nämlich versprochen, Pläne für die befürchtete kommunistische Machtübernahme in Österreich, den sog. KPÖ-Putschplan, zu beschaffen. Spätestens im Oktober 1949 erkannte das CIC allerdings, dass der „Putschplan“ und andere vermeintliche sowjetische Planungen von Urban und seinen Leuten selbst hergestellt worden waren und entließ ihn im Frühjahr 1950.

Die beteiligten Nazis hatten durch ihre Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten erhebliche Vorteile. Sie erhielten ein nicht unbeträchtliches konstantes Einkommen, waren vor einer Verfolgung wegen ihrer Tätigkeit vor 1945 geschützt und konnten sich sogar weitgehend ungestraft weiterhin im rechtsextremen Feld engagieren. Der Gewinn, den das CIC von Mitarbeitern dieser Art hatte, ist weniger klar. Das CIC in Österreich gehörte allerdings zu den amerikanischen Dienststellen, welche die im Kalten Krieg verbreitete Fokussierung auf die Überwachung von Kommunisten unter Integration ehemaliger Nazis relativ früh vornahm. Während die Tatsache, dass man Gewaltverbrecher beschäftigte, die Verantwortlichen weniger störte, trennte man sich von Leuten wie Urban, wenn sich herausstellte, dass sie außerdem auch illoyale Schwindler waren, die Berichte nach Bedarf fälschten oder „Dokumente“ selbst anfertigten. Urban arbeitete nach seiner Entlassung lange Jahre für den westdeutschen BND und andere westliche Geheimdienste.

 

DER VERBAND DER UNABHÄNGIGEN

Die Aktivitäten in den Internierungslagern und die des Untergrunds liefen in den Jahren 1948 und 1949 zusammen, als in Österreich im Oktober 1949 Wahlen zum Nationalrat stattfanden. Es waren die ersten, an denen – aktiv wie passiv – mehr als eine halbe Million ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder teilnehmen durften, die bis dahin mit Betätigungsverbot belegt worden waren. Im Vorfeld der Wahl organisierten einige frühere NS-Funktionäre und Rechtskonservative informelle Gesprächskreise, aus denen schließlich der Verband bzw. Wahlverband der Unabhängigen (VdU) hervorging. Obwohl offiziell von konservativen Politikern wie Herbert Kraus und Viktor Reimann geleitet, scheinen die treibenden Kräfte dahinter NS-Funktionäre gewesen zu sein, die aus dem VdU ein Sammelbecken von Nationalsozialisten machen wollten, um einen Teil ihrer politischen Konzepte über das Kriegsende zu retten.[iii] Zudem ging es um ein Ende der Entnazifizierung und eine Rehabilitation der NS-Funktionsträger. Wie ein Bericht der Organisation Gehlen zusammenfasst, ging es Männern wie Wilhelm Höttl 1949 in Österreich darum, die Wahlentscheidung ehemaliger Nazis zu lenken, um „wieder zu einem Anteil an der politischen Macht zu kommen“.

Im Vorfeld der Wahlen setzten Bestrebungen ehemaliger Nationalsozialisten ein, diese Wählerstimmen zu bündeln, um sie gegen politische Zugeständnisse entweder der SPÖ oder der ÖVP zuzuführen. Es fanden Gespräche mit Funktionären der ÖVP und der SPÖ statt, um auszuloten, ob und wie weit diese bereit wären, auf die Anliegen der sogenannten „Unabhängigen“ einzugehen. Die Verhandlungen mit der ÖVP in Oberweis für den VdU führte u.a. Wilhelm Höttl, ein SS-Obersturmbannführer, der leitende Positionen im SD gehabt hatte und ein Protegé Walter Schellenbergs und Ernst Kaltenbrunners gewesen war. Nach dem Krieg arbeitete Höttl für verschiedene amerikanische und westdeutsche Geheimdienste. Für das CIC hat er ein Netz aus Ehemaligen aufgebaut, das die Grundlagen für eine Partisanenarmee in Österreich im Rahmen der amerikanischen Stay-Behind-Pläne schaffen sollte. Entgegen vieler Gerüchte war Höttl aber nie Mitarbeiter der Organisation Gehlen in Westdeutschland. Reinhard Gehlen betrachtete ihn als Konkurrenten, weil er annahm, dass Höttl im Auftrag Schellenbergs die Dienststellen des SD in Österreich wieder aufbaute, und fürchtete diese Konkurrenz. Das hielt Gehlen aber nicht davon ab, der CIA 1949 die Übernahme dieser SD-Netze zu empfehlen. Höttl war allerdings in der Nachkriegszeit eine extrem schillernde Persönlichkeit, die unentwegt wechselnde Geschichten über sich verbreitete, über dubiose Geldquellen verfügte und nahezu für jeden arbeitete, der bereit war, ihn zu bezahlen.

An den Gesprächen mit der SPÖ waren Kernmayr und Kowarik beteiligt, deren Leute sich im Gmundner Kreis zusammengeschlossen hatten. Kernmayr war als eine zentrale Figur im VdU eng mit den Aktivitäten Höttls verbunden. Nach Erkenntnissen der Organisation Gehlen gehörte er jedoch nicht zu den öffentlich sichtbaren Leitern des VdU, weil er zu offen NS-Positionen vertrat. Bei der Waffen-SS und im Internierungslager hatte er Kowarik kennengelernt, der in Geheimdienstberichten als von Kernmayr abhängig bezeichnet wird.

Kowarik wurde im Januar 1948 vom Wiener Volksgericht zu zwei Jahren Kerkerstrafe verurteilt, von der er allerdings nur eine kurze Reststrafe absitzen musste. Bei der Gründung des VdU war Kowarik Mitarbeiter der Organisation Gehlen. Er gehörte zu einer größeren Gruppe ehemaliger HJ-Führer vor allem aus der Reichsjugendführung und aus Wien, die der HJ- und NSDAP-Funktionär Herbert Kukuk 1947 und 1948 eingestellt hatte. Durch seine Tätigkeit und die Verbindungen in den westdeutschen Geheimdienst verfügte er über beträchtliche Geldmittel, die er für den VdU einsetzte.

Im Januar 1949 war er mit „größeren Geldsummen“ ausgestattet in Wien aufgetaucht und bot an, hilfsbedürftige HJ-Führer zu unterstützen, die er zu rekrutieren versuchte. Es hieß, zusammen mit Kernmayr wolle er eine Organisation ehemaliger NS- und HJ-Angehö­riger schaffen. Beide stünden mit dem früheren stellvertretenden Reichsjugendführer und Gauleiter Hartmann Lauterbacher in Verbindung, der kurz danach ebenfalls von der Organisation Gehlen angestellt wurde. Kowarik leitete nach Erkenntnissen des Gehlen-Dienstes für Höttl ein überwiegend aus ehemaligen HJ-Leuten bestehende Organisation, die zu Höttls Nachrichtengruppe gehöre, aber vor allem „zur Verbreitung von geheimen Weisungen und Verhaltens-Parolen unter den ehemaligen Nationalsozialisten“ verwendet werde. Ein solcher Apparat stünde Höttls Konkurrenten im VdU nicht zur Verfügung, weshalb dieser dort zur tonangebenden Person werde. Höttl habe dem VdU die von Kowarik geleitete „Organisation Ko“ für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt.

Kowarik gehörte damit zu den tonangebenden Gründungsmitgliedern des VdU und wurde von Kernmayr in den Gmundner Kreis lanciert. Zusammen mit Kernmayr suchte er den Kontakt zur SPÖ. Die Gespräche führten allerdings zu keinem Ergebnis, weshalb sich aus dem VdU eine eigene Partei bildete, die 1949 knapp zwölf Prozent der Stimmen erhielt. Bei den gleichzeitig stattfindenden Landtagswahlen erhielt der VdU in Oberösterreich, Tirol, Salzburg und der Steiermark sogar zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen, im Vorarlberg wurde er zweitstärkste Partei.[iv] 1955 entstand aus den Resten des VdU und weiteren Parteien aus diesem Lager die FPÖ, deren Generalsekretär Kowarik 1957 bis 1960 war.

Im VdU waren weitere Mitarbeiter der Organisation Gehlen aktiv. Zu der Gruppe von HJ-Führern, die Herbert Kukuk eingestellt hatte, gehörten neben Kowarik Leo Prantz und Siegfried Zoglmann, die beide in die NS-Aktivitäten in Österreich verstrickt waren. Bei Zoglmann handelte es sich um einen sudetendeutschen völkischen Aktivisten, der seine Karriere in der Reichsjugendführung, dem NSDAP-Apparat in der besetzten Tschechoslowakei und in der Waffen-SS begann, wo er zuletzt SS-Obersturmführer war.

Zoglmann arbeitete zunächst ebenfalls für das CIC Österreich. Während dieser Zeit gehörte er der Soucek-Rössner-Gruppe an, in der er mit Amon Göth, der dort eine führende Rolle spielte, zusammenarbeitete. Nach der Festnahme Göths flüchtete er nach Deutschland, weil er in Österreich steckbrieflich gesucht wurde. Das war der Organisation Gehlen bekannt, die zudem festhielt, er sei mit Kernmayr und Kowarik gut bekannt, ebenso mit Prantz. Alle vier arbeiteten unter dem Schutz ihrer Geheimdiensttätigkeit an der Vernetzung österreichischer Nationalsozialisten und an großdeutschen Plänen für ein Viertes Reich. Trotzdem wurde Zoglmann direkt nach seiner Flucht Mitarbeiter der Organisation Gehlen, die ihn im Februar 1949 wieder entließ. Danach ging er in die Politik zurück, gehörte lange zum nationalen Flügel der FDP, blieb aber seinen Freunden im BND verbunden. Er blieb zeitlebens ein radikaler völkischer Nationalist und war führendes Mitglied im Witikobund.

Der 1917 geborene Leo Prantz war zunächst Offizier im Afrikakorps der Wehrmacht, wechselte dann als Obersturmführer zur Waffen-SS und übernahm schließlich nach einer Kriegsverletzung den HJ-Bann 507 in Wien und kommandierte das HJ-Volkssturmbataillon 41/6. In der HJ hatte Prantz am Ende des Krieges, als er im März und April 1945 dabei half, Jungs aus der HJ in der Slowakei und in Österreich gegen die Rote Armee in Stellung zu bringen, den Dienstgrad eines Bannführers. Er galt er als „militärischer Kopf“ des Einsatzes der HJ im Endkampf um Wien, währenddessen sich die Waffen-SS nach Bayern absetzte.[v] Prantz arbeitete von 1947 bis etwa 1951 ebenfalls für die Organisation Gehlen.

 

GEHEIMDIENSTE

Mehrere der Führungspersonen des VdU waren demnach während seiner Gründungsphase Mitarbeiter oder Agenten westlicher Geheimdienste: Höttl, Kowarik und Kernmayr arbeiteten zusammen für das CIC, Kowarik und die weiteren Beteiligten Zoglmann und Prantz neben weiteren HJ-Führern aus Wien für die Organisation Gehlen. Alle waren durch stabile Bekanntschaften aus der Zeit des Dritten Reichs mit anderen Mitarbeitern dieses Dienstes vernetzt. Dadurch hatten sie Zugang zu behördlichen Informationen und weitere Vernetzungschancen in den Kreisen der Ehemaligen.

Wahrscheinlich muss man zwischen den Intentionen des CIC und der Organisation Gehlen deutlich unterscheiden. Dem CIC dürfte es in Österreich vorrangig um den Aufbau schlagkräftiger bzw. schlagkräftig erscheinender Agentennetze gegangen sein, mit denen ihre Leiter in Washington zu punkten hofften. Teil des Programms waren Partisanenorganisationen, welche im Fall eines KPÖ-Putsches oder eines Krieges mit der Sowjetunion mobilisiert werden sollten. Die CIA kritisierte insbesondere den CIC-Major James Milano dafür, dass er CIC-Netze gegen die KPÖ aufgebaut hatte, die fast zur Gänze aus SD-Mitarbeitern bestanden.[vi] Gordon Stewart, ein leitender CIA-Mitarbeiter in Westdeutschland, sprach im Sommer 1949 sogar von einer Reorganisation von SD-Dienststellen. Stewart kritisierte gegenüber Richard Helms, damals für Zentraleuropa zuständig, dass Milano der Höttl-Gruppe seit Kriegsende mehr als 200.000 US-Dollar gegeben habe, was er angesichts von dessen politischen Aktivitäten für fragwürdig hielt. Aus der unterschiedlichen Bewertung sieht man, dass wir es bei der Unterstützung dieser Leute nicht mit einer US-amerikanischen Strategie zu tun haben, sondern mit dem Streben lokaler CIC-Offiziere, schnelle Erfolge zu verbuchen.

Wie am Beispiel von Urban deutlich wurde, führte diese Taktik dazu, dass das CIC auf Schwindler hereinfiel und, vielleicht ohne es zu wollen, zweifelhafte politische Organisationen förderte, deren Finanzierung aus dem US-Budget abgezweigt wurde. Das deutet vielleicht eher auf einen Mangel an Kontrolle auf allen Ebenen hin als auf ein US-amerikani­sches Bestreben, die Sorte Antikommunismus, welche Höttl und Konsorten verkörperten, als politische Macht in Österreich zu etablieren. Die Finanzierung des VdU könnte ein Kollateralschaden im Versuch gewesen zu sein, möglichst schnell die KPÖ zu infiltrieren, deren Mobilisierungskraft die Amerikaner offensichtlich gewaltig überschätzten, worin sie wiederum von den Berichten ihrer NS-Konfidenten bestärkt wurden, die an solchen Übertreibungen ein Interesse hatten, um die eigene Wichtigkeit zu demonstrieren und weiterhin finanziert zu werden.

Bei der Organisation Gehlen lagen die Interessen jedoch anders. Diese wurde seit 1946 aufgebaut von Offizieren der früheren Abwehr, Hitlers Militärgeheimdienst, und aus der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), in der Informationen aus verschiedenen Geheimdienstzweigen zusammengeführt und ausgewertet worden waren, um die deutsche Generalität an der Ostfront über die Stärke und die voraussichtlichen Ziele der sowjetischen Truppen zu unterrichten. Wie wir heute wissen, arbeitete diese Abteilung wenig erfolgreich[vii], aber ihr Leiter, General Reinhard Gehlen, war nach Kriegsende sehr erfolgreich darin, allen zu versichern, wenn Hitler nur seinen Hinweisen gefolgt wäre, hätte Deutschland den Krieg im Osten gewinnen können.[viii]

Die nach Gehlen benannte Organisation war zunächst keine deutsche Einrichtung. Sie stand in den ersten zehn Jahren ihrer Existenz unter der Autorität US-amerikanischer Institutionen. Zunächst finanzierte der Geheimdienst des US-Heeres den neuen Geheimdienst, ohne jedoch eine deutlich fühlbare Kontrolle auszuüben, ab 1949 übernahm die gerade gegründete CIA die Verantwortung.[ix]

In der Organisation Gehlen wurden bald nach ihrer Gründung nicht nur Männer aus der Abwehr und Gehlens alter Abteilung FHO eingestellt.[x] Willkommen waren Mitarbeiter aus allen Zweigen der nationalsozialistischen Sicherheitsbehörden und ihres europaweiten Herrschafts- und Terrorapparats. Die Organisation wurde von ihrer Leitung zielstrebig zu einer Nachfolgeorganisation der Sicherheitsbürokratie des Dritten Reichs ausgebaut, in der Mitarbeiter der verschiedensten NS-Behörden ein Unterkommen finden konnten.

Wir haben es mit dieser Organisation also nicht nur mit dem Vorläufer eines westdeutschen Nachrichtendienstes zu tun, sondern auch mit einer von vielen Überlebensgemeinschaften von NS-Funktionsträgern. Als solche bestand eine nahe Verwandtschaft zu politischen Organisationen und Verbänden in Österreich, in welchen sich nach dem Krieg Kader des Dritten Reichs sammelten, um für ihre Rehabilitation, ihre politischen Ziele und für ihre individuellen Karrieren zu streiten. In Westdeutschland waren das in der frühen Zeit die sogenannte Bruderschaft und der Gauleiterkreis, später dann die seit 1949 erlaubten rechten Parteigründungen, in den fünfziger Jahren der Verband der Soldaten der Waffen-SS (HIAG) oder der völkisch orientierte Witikobund.[xi]

Zwischen solchen rechtsextremen Bünden und dem BND bestand ein hohes Maß von Durchlässigkeit, was das Personal angeht. Es gibt mehrere Beispiele, dass Mitarbeiter zwischen solchen Verbänden und der Organisation Gehlen problemlos hin- und herwechselten. Das fand seine Entsprechung in geschichtsrevisionistischen Positionen, die in der Leitung des BND geteilt wurden. Das betraf etwa die Bewertung des Widerstands gegen Hitler, deren Angehörige unabhängig von ihrer politischen Position zahlreiche leitende Mitarbeiter der Organisation Gehlen als Verräter und als Gefahr wahrnahmen.[xii]

Dass zentrale Akteure des VdU gleichzeitig für die Organisation Gehlen arbeiteten, deutet weniger auf deren gezielte Unterstützung der Nazis in Österreich hin, sondern scheint eher der Tatsache geschuldet zu sein, dass beide Organisationen im selben Feld rekrutierten und die Netzwerke der NS-Funktionsträger weit in den BND hineinreichten. Durch diese Vernetzung ergab sich eine partielle Zusammenarbeit und ein Austausch von Personal ganz wie selbstverständlich. Dafür spricht, dass zugleich mit Kowarik eine Reihe weiterer HJ-Führer eingestellt wurde, von denen mehrere im rechtsextremen Feld aktiv waren. Dabei gehörten die höheren hauptberuflichen HJ-Funktionäre zusammen mit den SS-Offizieren nach dem Krieg zu den energischsten Verteidigern des Dritten Reichs und seiner Politik.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass in späteren Jahren weitere Aktivisten aus dem nationalsozialistischen Untergrund Österreichs Mitarbeiter des BND wurden. Kowarik, der mit Hartmann Lauterbacher und anderen HJ-Führern Kontakt hielt, arbeitete später erneut als Agent für den BND. Der HJ-Führer Hans Germani, der Kernmayr von der Waffen-SS kannte, war für den VdU als Redner aufgetreten. Er wurde 1957 Agent des BND. Walter Kainz, auch er aus der illegalen österreichischen NSDAP kommend, SS-Haupt­sturm­führer u.a. der Gestapo Wien und der Einsatzgruppe A, war 1949 in der Agitation des VdU sehr aktiv. Er war von 1951 bis etwa 1970 BND-Mitarbeiter.

Der HJ-Führer Walter Pollak, der nach dem Krieg eine „Sammlung ehem. NS-Intellektueller“ anstrebte und schon bei der Oberweiser Konferenz dabei gewesen war, schloss sich nach der Betätigung in Kleinparteien 1952/53 dem VdU an. Es hieß, er halte sich im Hintergrund, um weiter für Kernmayr als politischer Berater fungieren zu können. Er arbeitete seit 1955 zehn Jahre als Agent für den BND, wobei er u.a. aus Gesprächen mit dem konservativen Abgeordneten und Präsidenten des Nationalrats, Alfred Maleta, und dem SPÖ-Außenminister Bruno Kreisky berichtete. Pollak scheint Kowarik als Agentenwerber verwendet zu haben.

Kernmayr dagegen wurde im Oktober 1949 wegen seiner propagandistischen Tätigkeit im Dritten Reich und fortgesetzter nationalsozialistischer Betätigung verhaftet. Er versuchte Anfang der fünfziger Jahre ergebnislos, bei der ÖVP und der SPÖ Fuß zu fassen, später war er Mitglied von SRP, NPD und DVU. Zwischendurch arbeitete er für verschiedene Geheimdienste und gab nacheinander verschiedene rechtsextreme Zeitschriften heraus. 1954/55 ging er nach Bayern, wo er Redakteur der Deutschen Soldatenzeitung wurde. Auch Kernmayr stieß Mitte der fünfziger Jahre kurz zum BND.

 

ZUSAMMENFASSUNG

In Österreich entstand bei Kriegsende, gespeist durch den Zulauf von NS-Funktionä­ren in die Alpenfestung und die schwach einsetzenden Werwolfaktivitäten, ein nationalsozialistischer Untergrund. Anfangs auf eine Fortsetzung des Dritten Reichs bzw. die Errichtung eines Vierten Reichs ausgerichtet, sahen die Aktivisten bald ein, dass sie damit erfolglos bleiben würden. Während dieser Zeit organisierten sie die Fluchthilfe aus den Internierungslagern und unterstützten untergetauchte Kameraden mit falschen Papieren, was mit intensiven Geschäften auf dem Schwarzen Markt einherging und teilweise von westlichen Geheimdiensten gedeckt wurde. Diese spannten die früheren Nazis im beginnenden Kalten Krieg in ihre antikommunistischen Aktivitäten ein, bis sie merkten, dass sie oftmals nur von geringem Nutzen waren. Es ist jedoch zu vermuten, dass der Einsatz der NS-Aktivisten die Feindwahrnehmung dieser Geheimdienste ganz erheblich beeinflusst hat, weshalb sie die kommunistische Gefahr gegenüber ihren politischen Auftraggebern deutlich überzeichneten.

Aus diesem Untergrund speiste sich der Verband der Unabhängigen, auch wenn seine politischen Repräsentanten Konservative waren. Die Zusammenschlüsse in den Internierungslagern, die sich ab 1948 zusehends leerten, und die Netzwerke der früheren NS-Funktionsträger in der Gesellschaft orientierten sich ab 1948/49 neu auf eine legale Beteiligung an der Macht. Zunächst versuchten die ehemaligen Funktionäre des Dritten Reichs die Stimmen der ehemaligen Nazis, die 1949 erstmals wählen durften, auf sich zu vereinigen, um mit den beiden großen Parteien über politische Zugeständnisse zu verhandeln. Angestrebt waren ein Ende der Entnazifizierung, eine Rehabilitierung der Nationalsozialisten und eine Beteiligung an der Macht, wobei sie weiterhin ihre von nationalsozialistischem Gedankengut geprägten politischen Ordnungsvorstellungen umsetzen wollten.

Als die Verhandlungen mit SPÖ und ÖVP die hochgespannten Erwartungen der Verhandlungsführer des VdU nicht erreichten, formte sich aus dem Verband der Unabhängigen ein Wahlverband, der den Einzug in den Nationalrat auf Anhieb schaffte und dort, erweitert und umgeformt in die FPÖ, bis heute blieb. Die Anbindung mehrerer Führungspersonen des VdU an das CIC und die Organisation Gehlen führte dazu, dass die Gründungsväter des VdU über finanzielle Mittel zur Einstellung von Personal und zum Aufbau von Apparaten verfügten. Dadurch konnten sie innerhalb der Führungsriege des VdU eine dominante Position erlangen und den VdU zu einer schlagkräftigen Organisation aufbauen. Die Geheimdienste haben also in ihrer antikommunistischen Politik wesentlich dazu beigetragen, die Nationalsozialisten nach dem Krieg in Österreich wieder zu einer schlagkräftigen politischen Organisation zu verhelfen, aus der nach mehreren Wandlungen 1955 die FPÖ entstand.

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[i] Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 22008, S. 869.

[ii] Martin F. Polaschek: Im Namen der Republik Österreich! Die Volksgerichte in der Steiermark 1945 bis 1955, Graz 1998 (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 23), S. 257-259; Thomas Riegler: Die »Rössner-Soucek-Verschwörung«. NS-Untergrundbewegungen, Geheimdienste und Parteien im Nachkriegsösterreich, Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 9 (2015) 1, S. 44-75.

[iii] Margit Reiter: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ, Göttingen 2019.

[iv] Maria Mesner: Entnazifizierung zwischen politischem Anspruch, Parteienkonkurrenz und Kaltem Krieg. Das Beispiel SPÖ, Wien 2005.

[v] Ein Erinnerungsbericht erwähnt ihn; Fred Borth: Nicht zu jung zum Sterben. Die »Hitler-Jugend« im Kampf um Wien 1945, Wien 1988, S. 109, 147 et pass.

[vi] Major Milano sah seine Tätigkeit naturgemäß anders: James V. Milano/ Patrick Brogan: Soldiers, Spies, and the Rat Line: America’s Undeclared War against the Soviets, Washington 1995.

[vii] Winfried Meyer: Klatt. Hitlers jüdischer Meisteragent gegen Stalin: Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg, Berlin 2015.

[viii] Reinhard Gehlen: Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971, München 1971.

[ix] Thomas Wolf: Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle, Berlin 2018.

[x] Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes. Von den Anfängen bis 1968, Berlin 2016.

[xi] Kurt P. Tauber: Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism since 1945, 2 Bde., Middletown 1967.

[xii] Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbilds »Rote Kapelle«, Berlin 2016.